Uls Kolumne

Auspuffanlagen, oder

... warum laut nie out sein wird

Auspuffanlagen
Es soll vereinzelt Motorradfahrer geben, die noch nie im Leben eine laute Tüte an ihr Motorrad geschraubt haben. Ich behaupte: Sofern sie nicht weiblich oder sogenannte Späteinsteiger sind, ist das schlicht und ergreifend widernatürlich.

Für den Beweis dieser These ist es leider unumgänglich, etwas weiter auszuholen. Ich werde aber versuchen, mich kurz zu fassen. Schauen wir uns zunächst einfach mal um. Eine naheliegende Quelle für die Feldforschung sind Internetforen. Hier trifft man ohne großen Aufwand zahlreiche Mitglieder der Zielgruppe und deren Verhalten ist recht ungezwungen. Ich staune inzwischen nicht mehr, wenn ich dort Diskussionen über Auspuffanlagen mitverfolge; denn da spielen der mögliche Leistungsgewinn oder Gewichtsvorteil eine eher untergeordnete Rolle. Die am häufigsten gestellte Frage lautet stattdessen: "Wie klingt sie?" Und das sichere Todesurteil: "Die ist kaum lauter als die Serie." Viele Anbieter sind deshalb dazu übergegangen, Soundfiles ihrer Produkte ins Netz zu stellen. Leistungskurven findet man seltener. Deutlich erkennbar ist auch der Zusammenhang mit der Altersstruktur der Forumsteilnehmer. Auch wenn sie nie ganz verschwindet - die Vorliebe für Lautstärke scheint in der Jugend sehr weit verbreitet zu sein und mit dem Alter abzunehmen.

Wenn solche Phänomene auftreten, lohnt sich ein Ausflug in die Verhaltensforschung. Während selbst die wildesten Raubtiere ihre Beute recht einsilbig töten, wird es bei innerartlichen Raufereien fast immer sehr laut. Und da kann ein besonders imponierendes Gebrüll nicht nur den Kampf entscheiden, sondern bereits im Vorfeld einen weniger stimmgewaltigen Rivalen zum Rückzug bewegen. Jane Goddal hat eine Beobachtung beschrieben, die so amüsant wie aufschlussreich ist. In dem Schimpansenrudel, das sie erforschte, fand ein noch halbwüchsiger Affenbursche einige leere Wasserkanister. Er hatte natürlich nichts besseres zu tun, als sofort zum Rudel zurückzulaufen und dabei zwei Kanister aneinander zu schlagen. Es schepperte und hallte gewaltig zwischen den Bäumen. Der junge Mann fand schnell Gefallen an dieser Beschäftigung und ganz besonders gefiel ihm die Reaktion der anderen Affen. Die machten sich nämlich vor Angst fast in die Hosen. Selbst das Alphamännchen, das sonst jede Gelegenheit nutzte, den potentiellen Nachfolger rabiat zu schikanieren, traute sich nicht, dem dreisten Treiben Einhalt zu gebieten.

Ganz offensichtlich bedeutet also die Fähigkeit, lauter als andere zu sein, einen entscheidenden Vorteil, wenn es um die Rangordnung geht. Und ein vorderer Platz in dieser Ordnung führt zu einem größeren Fortpflanzungserfolg. Richtig, es geht, wie immer in der Evolution, um Sex. (Jetzt, liebe Kreationisten, werde ich es schreiben, weil ich weiß, daß ihr hier nicht mitlest: Natürlich wurde die Welt vor ungefähr 6000 Jahren an sechs Tagen erschaffen. Aber ich bin nun mal Teil der weltweiten Verschwörung, die euch vom rechten Weg abbringen soll. Und ich mache hier nur meinen Job.)

Eine naheliegende Schlussfolgerung wäre also, daß wir alle einer langen Selektionskette von Krawallbrüdern entstammen. Wir würden zwar einen Fehler begehen, wenn wir diese Fähigkeit zum einzigen Kriterium für den Fortpflanzungserfolg erheben würden, aber ein mindestens ebenso großer Fehler wäre es, ihr die Rolle abzusprechen, die sie, tief in unseren Genen verankert, auch heute noch spielt.

In unseren großen innerartlichen Konflikten, den Kriegen, war es noch bis vor kurzem üblich, sich mit Gebrüll auf den Feind zu stürzen. Grauenhafte Töne aus Dudelsäcken oder das rhythmische Schlagen großer Trommeln sollten dem Gegner den Schneid abkaufen. Daß die heutigen technisierten Kriege, die mit weitreichenden Waffen über große Distanzen geführt werden, solche Maßnahmen nicht mehr notwendig machen, wird sich, wenn überhaupt, erst im Laufe vieler Jahrtausende auf unser Genom auswirken. Aber auch im Zivilleben ist es kein großes Problem, Mitmenschen zu beobachten, die, wie unser Affe weiter oben, technische Hilfsmittel mit dem Ziel benutzen, ihre Umwelt durch Lärm zu beeindrucken. Wenn ein Auto an uns vorbeifährt und wir ein dröhnendes Bummbumm aus dem Kofferraum hören, können wir mit signifikant hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen, daß da eine ältere Dame am Steuer sitzt. Und der junge Mann, der das Auto fährt, schätzt ganz sicher mindestens ebenso die Aufmerksamkeit, die er erregt, wie den hirnlosen Schrott, den er für Musik hält. Jetzt sind wir wieder so dicht an den lauten Auspuffanlagen, daß ich keine Wahl mehr habe. Bringen wir es hinter uns: Der Sound einer offenen Tüte soll der Umwelt die Ankunft eines wilden, zu allem entschlossenen Kerls signalisieren. Darum geht es.

Daß ein solcher Auftritt besonders für junge Männer wichtig ist, liegt daran, daß sie von ganz unten kommen und ihren Platz in der Rangordnung noch nicht gefunden haben. Männer in höherem Alter sind da in der Regel schon deutlich entspannter. Sie haben lange genug gekämpft und sich mit ihrer Umwelt arrangiert. Jetzt gilt es nur noch, ab und zu das Erreichte zu verteidigen. Dazu kommt die allmähliche Ausbildung der Spiegelneuronen im Frontalhirn. Diese sind sozusagen die biologische Entsprechung des schönen Satzes: "Was du nicht willst, daß man dir tu...." In der Regel dauert dieser Prozess von der Geburt bis zu seinem Abschluß ca. 30 bis 35 Jahre. Erst dann sind die meisten Menschen zu Empathie fähig. Der durchschnittliche Zwanzigjährige weiß zwar, daß er etwas Verbotenes tut, aber er kann die ganze Aufregung innerlich noch nicht wirklich nachvollziehen - zumindest solange nicht er durch den Lärm anderer gestört wird. Er wird weiterhin, ohne sich groß über die Gründe im Klaren zu sein, einem mächtigen Instinkt folgen müssen. Und wir werden es, wie einst unsere Väter, sehr schwer haben, ihn davon abzuhalten. Soviel dazu.

Übrigens: Falls du in einem Alter bist, in dem du eigentlich schon eine Serientüte fahren müsstest - richtig erwachsen werden wir nie und ich schon garnicht.


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